Werdet selbst Vorbilder und inspiriert andere Frauen! Ich war damals die erste türkisch sprechende Steuerberaterin in Stuttgart.
Was ist die Besonderheit Ihrer Unternehmens?
Ich bin Gründerin und Inhaberin eines Steuerbüros in Stuttgart. Mein Team und ich beraten unsere Klienten in ihren steuerlichen und wirtschaftlichen Anliegen. Auch Existenzgründungsberatung gehört zu meinen Schwerpunkten. Besonders ist, dass ich damals die erste türkisch sprechende Steuerberaterin in Stuttgart war.
Was war für Sie der Auslöser, ein eigenes Unternehmen zu gründen?
Während meines Studiums an der Universität Hohenheim plante ich meinen Berufseinstieg. Mir war sehr früh bewusst, dass ich nicht vor der Entscheidung stehen wollte: Kind oder Karriere. Ich wollte einen Lebensentwurf, der mir, neben einer beruflichen Karriere, sowohl eine Familie als auch mein politisches Engagement ermöglichte. Gemeinsam mit zwei Freundinnen besuchte ich damals verschiedene Firmen. Wir sprachen mit Führungskräften der Personalabteilungen über unsere berufliche Zukunft. Eine Personalerin äußerte sich damals sehr offen und meinte, Karriere mit Kind könnten wir in einem Konzern vergessen. Sie riet mir mich selbstständig zu machen. Diesem Rat bin ich gefolgt. Ich fasste den Entschluss, Steuerberaterin zu werden und belegte im Hauptstudium schon entsprechende Fächer in Richtung dieses Ziels.
Was hat Sie motiviert, sich selbstständig zu machen?
Freiheit und Selbstbestimmung sind wichtige Werte in meinem Leben. Das hat sich auch in meinen beruflichen Entscheidungen niedergeschlagen. In der Arbeit als Selbstständige liegt für mich viel Freiheit, aber auch viel Verantwortung. Das bedeutet für mich nach wie vor die größte Motivation.
Wie ist Ihr beruflicher Werdegang?
Nach meinem Studium der Wirtschaftswissenschaften arbeitete ich fünf Jahre lang als Angestellte in einem Steuerberatungsbüro ins Stuttgart. Nach den vorgeschriebenen drei Jahren Praxiserfahrung, begann ich meine Weiterbildung zur Steuerberaterin und gründete dann wenig später mein eigenes Steuerbüro. Meine politische Arbeit lief parallel dazu – schon während des Studiums begann ich mich politisch zu engagieren. Nach den Angriffen auf Migrant*innen in Rostock-Lichtenhagen und in Mölln Anfang der 90er, beschloss ich selbst aktiv zu werden. Ich trat den Grünen bei und engagierte mich zunächst im Gemeinderat Stuttgart. Seit 2011 bin ich als Abgeordnete in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt. Seit 2016 habe ich das Amt der Präsidentin des Landtags inne.
Privat hatte ich großes Glück, denn mein Mann hat mich sehr unterstützt – sowohl im Steuerbüro, als auch mit der Familienarbeit.
Wie wurden Sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt?
Was spezielle Förderungen oder Netzwerke angeht, habe ich damals keine Unterstützung erfahren, sondern war auf mich alleine gestellt. Privat hatte ich großes Glück, denn mein Mann hat mich sehr unterstützt – sowohl im Steuerbüro, als auch mit der Familienarbeit. Wir leben eine Beziehung auf Augenhöhe und teilen Rechte und Pflichten unter uns auf. Auch meine Familie stand auf dem Weg in die Selbstständigkeit hinter mir. Meine Mutter ist in Anatolien mit deutlich weniger Chancen aufgewachsen. Sie bestärkte mich deshalb immer, meine Chancen zu nutzen, mein Potenzial zu entfalten und mich für das stark zu machen, was mir wichtig ist.
Hat Ihnen Ihre akademische Ausbildung bei der Unternehmensgründung geholfen?
Selbstverständlich! Mein Studium versetzte mich in die Lage, die Steuerberaterprüfung abzulegen und vermittelte mir zudem ein grundlegendes Verständnis für wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse. Ein akademisches Studium ist darüber hinaus ja nicht nur „Ausbildung“ für bestimmte Methoden und Kompetenzen, sondern auch „Bildung“. Sprich – meine Art zu denken und auch die Perspektive, mit der ich auf die Welt blicke, wurde unter anderem durch mein Studium geprägt. Um ein Unternehmen zu führen, braucht es nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch einen Blick für Zusammenhänge und die persönliche Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.
Der Entschluss, sich selbstständig zu machen, erfordert für Frauen mehr Mut, weil es weniger Vorbilder, weniger Selbstverständlichkeit im Umgang gibt.
Hatten Sie den Eindruck bzw. Erfahrungen gemacht, dass der Weg zum eigenen Unternehmen für Frauen schwerer ist als für Männer?
Frauen sind aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, die das Gründen eines Unternehmens erschweren. Beispielsweise verfügen Frauen oft über weniger Kapital als Männer. Genügend Geld und Liquidität sind aber für eine Gründung zentral. Zudem suchen Frauen meistens viel stärker eine Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, weil das in weiblichen Rollenbildern auch heute noch so angelegt ist. Der eigene Berufsweg und die Frage nach einer Mutterschaft werden immer zusammengedacht. Es geht an der Stelle neben strukturellen Hürden auch um emotionale Hürden, die über Sozialisation auf Frauen wirken. Der Entschluss, sich selbstständig zu machen, erfordert für Frauen mehr Mut, weil es weniger Vorbilder, weniger Selbstverständlichkeit im Umgang gibt.
Woran könnte es liegen, dass die Gründungsquote bei Frauen so viel geringer ist als bei Männern?
Ich glaube, dass unsere gesellschaftlichen Strukturen nicht so angelegt sind, dass die inneren und äußeren Hürden, vor der man bei einer Gründung steht, geschlechtsunabhängig sind. Wir sind gesellschaftlich noch nicht an dem Punkt, Sorge- und Familienarbeit wirklich zur Hälfte auf beide Geschlechter aufzuteilen. Frauen entscheiden sich dann oft trotz guter und sehr guter Ausbildung für die Familie. Statistiken belegen deutlich diese sogenannte „Retraditionalisierung“, wenn ein Kind oder Pflegearbeit die Paardynamik verändern. Ein weiterer Punkt ist die fehlende Repräsentanz von Frauen in gesellschaftlichen Macht- und höheren Hierarchiepositionen. So fehlen einerseits Vorbilder, die andere Frauen animieren, und gleichzeitig verändern sich die Strukturen nicht oder nur langsam. Die Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik beispielsweise führt dazu, dass die Perspektive der Frauen genau an dem Ort fehlt, wo sie gegen diese festlegenden Strukturen wirksam werden könnte.
Gründen Frauen anders als Männer bzw. gibt es Unterschiede in der Vorgangsweise?
Ich bin überzeugt, viele verschiedene Faktoren wirken auf die Art und Weise, wie jemand ein Unternehmen gründet. Neben der Branche und der angebotenen Dienstleistung oder des angebotenen Produkts, spielt auch der der familiäre Kontext und der Charakter der Gründerin, des Gründers eine Rolle. Das Geschlecht wirkt da noch erleichternd oder erschwerend hinzu. In meinem Steuerbüro erlebe ich Frauen im Hinblick auf das Beantragen des Kreditrahmens in der Tendenz etwas vorsichtiger, etwas risikoscheuer, dafür aber durchdachter als Männer. Frauen setzen weniger alles auf eine Karte. Ihnen stehen oft kleinere Investitionssummen für die Gründung zur Verfügung. Sie wollen sichergehen, dass die Investition auf alle Fälle trägt.
Was war Ihre größte Herausforderung und wie haben Sie diese gemeistert?
Die größte Herausforderung lag für mich in den Anfangsjahren nach meiner Gründung. Ich besaß wenig Startkapital und keinen großen finanziellen Puffer. Ich musste aber die hohen Fixkosten begleichen – die Gehälter der Mitarbeitenden oder Kosten für Miete und Softwarelizenz zum Beispiel. Ich arbeitete rund um die Uhr, trotzdem gab es in den ersten Jahren immer wieder finanzielle Engpässe. Mit Durchhaltevermögen und mit der Unterstützung meiner Familie habe ich mich durch diese ersten Jahre gekämpft.
Letztlich erweisen sich oft auch vermeintliche Rückschläge als Teil des Weges beziehungsweise als gute Gelegenheit, um aus Fehlern zu lernen und zu wachsen.
Wenn Sie heute zurückblicken … Was würden Sie anders machen?
Im Grunde stehe ich voll hinter meinem beruflichen Weg und würde auch rückblickend nicht viel anders machen. Letztlich erweisen sich oft auch vermeintliche Rückschläge als Teil des Weges beziehungsweise als gute Gelegenheit, um aus Fehlern zu lernen und zu wachsen. Eine solche Gelegenheit war für mich zum Beispiel die Steuerberaterprüfung. Die Prüfung ist sehr anspruchsvoll, die Durchfallquote sehr hoch. Auch ich bin beim ersten Versuch daran gescheitert. Das war damals ein echtes Drama für mich. Doch dann siegte das Gefühl „Jetzt erst recht“. Ich wollte nicht aufgeben, ich glaubte an meine Stärke. Und – mein Mann und ich änderten die Rollenaufteilung in unserem gemeinsamen Alltag. Er kümmerte sich mehr um unser Kind und den Haushalt, ich verbrachte die Zeit mit Lernen. Mit dem Ergebnis: Ich bestand die Prüfung. Und gleichzeitig lernte ich, wie wichtig es ist, das eigene Leben in die Hand zu nehmen – selbst wenn es „nur“ um die Aufteilung der Arbeiten im Haushalt geht.
Welche Tugenden sind für eine Unternehmensgründung maßgebend?
Wichtig sind vor allen Dingen Mut und Selbstvertrauen. Daneben braucht es Leistungsbereitschaft und eine Portion Ehrgeiz. Auch ein produktiver Umgang mit Rückschlägen ist wichtig. Scheitern gehört zum Leben dazu. Nur wenn wir uns entscheiden, nach einem Rückschlag wieder aufzustehen, dran zu bleiben und aus Fehlern zu lernen, kommen wir wirklich weiter. Es braucht das „Jetzt erst recht“und den Glauben an sich selbst.
Frauen müssen den Perfektionismus ablegen, sich verabschieden von dem Bild der perfekten Hausfrau oder der perfekten Karrierefrau.
Welchen Rat würden Sie Frauen, die sich selbstständig machen wollen, mit auf den Weg geben?
Gerade Frauen sind oft sehr perfektionistisch, wenn es um ihre Arbeit oder die Gestaltung ihrer Lebensentwürfe geht. Um Beruf, Familie und Engagement miteinander zu verbinden, müssen Frauen lernen zu delegieren, abzugeben, loszulassen. Frauen müssen den Perfektionismus ablegen, sich verabschieden von dem Bild der perfekten Hausfrau oder der perfekten Karrierefrau. Das sind sehr oft Rollenbilder, die ein selbstbestimmtes Leben beschränken. Ich rate Frauen heute auch: Traut euch was zu! Nehmt den Chefinnensessel, das Amt, die Position in der ersten Reihe an! Werdet selbst Vorbilder und inspiriert andere Frauen! Auf diese Weise wird die weibliche Perspektive ganz selbstverständlich in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinwirken.